Holocaust

Das Wort Holocaust etablierte sich erst eine ganze Zeit nach dem Krieg im deutschen Sprachgebrauch. Bis dahin war meist von der Judenverfolgung die Rede. In dem sechsbändigen Duden, der 1977 erschien, taucht es noch nicht auf. Das Wort Holocaust, griechisch, aber mit Bezug zum Alten Testament, bezog sich ursprünglich auf ein Brandopfer, und zwar auf ein solches, bei dem das ganze Tier geopfert wurde. Das war die Ausnahme. In der Regel wurden nur die Innereien verbrannt. Die Bestandteile des Wortes sind holos, ‘ganz’, und kaiein, ‘verbrennen’. Auch im Englische ist das Wort in der modernen Bedeutung erst 1942 zum ersten Mal dokumentiert. Vorher bezog sich das Wort meistens auf Dinge, zum Beispiel auf Briefe, die verbrannt wurden. Mit einer Ausnahme: Schon 1833 ist im Zusammenhang mit den französischen König Ludwig VII., von einem Holocaust von 1300 Menschen in einer Kirche die Rede, ein früher Vorläufer der modernen Bedeutung.

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Sie schafften das

Nach dem griechisch-türkischen Krieg lebte eine Million Menschen,  die über die Ägais dorthin gelangt waren, in griechischen Flüchtlingslagern. Das Osmanische Reich nahm zwei Millionen Flüchtlinge auf, Muslime, die ab 1860 von den europäischen Mächten aus Serbien vertrieben worden waren. Nach dem 2. Weltkrieg gab es allein in den Gebieten der westlichen Alliierten sieben bis acht Millionen Flüchtlinge. Die Stadt Frankfurt nahm 1685, zu einem Zeitpunkt, als sie 30,000 Einwohner hatte, 100,000 hugenottische Flüchtlinge auf. Und die polnisch-litauische Adelsrepublik nahm in großen Zahlen Tataren auf, Muslime, die seit dem 15. Jahrhundert dorthin einwanderten. (Thadden, Elisabeth von: “Von unterwegs”, in: Die Zeit 42/2017: 48)

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Bettelnde Fußgänger

Anorak, Schnellhefter, Ampel: Wie heißt die kleine Verlängerung an der Schiene, mit der man einen Reißverschluss öffnet oder schließt? Wie heißt das längliche Plättchen aus Metall oder Plastik, mit dem man die Blechbänder eines Schnellhefters schließt, um ein Rutschen zu verhindern? Wie heißt der Knopf, mit dem man an einer Fußgängerampel grünes Licht anfordert? Sie heißen Abdeckleiste (mit der schließt man die Schnellhefterzunge), Schiebergriff und Bettelknopf. Der Bettelknopf befindet sich an einer Bettelampel. Wichtiger als die Wörter selbst ist die Erkenntnis, dass man sie für die Alltagskommunikation nicht braucht. Dingen oder Dingsda oder Teil sind nützliche Wörter, um unbekannte Wörter zu paraphrasieren.

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Brennend interessant

In Köln sollen Luthers Schriften verbrannt werden. Listige Studenten vertauschen sie mit den Schriften seines Gegners Eck. Der Henker kann nicht lesen. Er verbrennt die Bücher. (Feldmann, Christian: Martin Luther. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2009: 53)

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Vor allem gesund

Benno, der kleine Bruder von Liesel, wird von seiner Schwester vorübergehend getrennt, denn die hat Scharlach. Er wird zusammen mit einem Kindermädchen in einer Hütte untergebracht. Dort lassen die Eltern eigens ein Bad einbauen. Tatsächlich bleibt Benno von dem Scharlach verschont. So ist er gesund und kann als Soldat in den Krieg ziehen. Dort kommt er in einem Gefecht ums Leben. (Mauwer, Simon: The Glass Room. London: Abacus, 2010: 31)

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Hochkultur

Am 9. März 1994 starb Charles Bukowski. Die Nachricht schaffte es sogar in die Abendnachrichten. Mit unbewegtem Gesicht sagte die Nachrichtensprecherin: “Zu seinen bekanntesten Werken zählte Fuck Machine.”  (Breuer, Thomas C.: Brücke zwischen Jucken und Zweifelscheid. Zell/Mosel: Rhein-Mosel-Verlag 2016: 106)

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Kurzer Prozess gemacht

In Savigny-sur-Etang in Frankreich kam es 1457 zu einem Gerichtsprozess wegen der Tötung eines fünfjährigen Jungen. Die Angeklagte wurde wegen Mordes angeklagt und zum Tod durch Erhängen verurteilt. Die Angeklagte war eine Sau. (Stephan, Björn: „Armer Hund!“, in: Die Zeit 39/2017: 15-17)

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Zeichen gesetzt

Ein Fernsehmoderator weist auf eine Sendung am Abend hin: “Wie geht’s Deutschland?” So hieß sie aber nicht. Sie hieß “Wie geht’s, Deutschland?”

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Roman chimneys

In Shakespeare’s Julius Caesar there are chimneys, books, doublets, hats and a clock that strikes three. Pope thought the hats were so much out of place that he replaced them by cats. There is also an allusion to the Great Flood. This could, of course, be the “Roman” flood, the flood of classical antiquity, sent by Zeus to punish mankind (only Descalion and his wife Pyrrha were permitted to survive), but Shakespeare was probably thinking of the “Christian” flood, the flood of the Old Testament, which would make it another anachronism. And finally a poet is scolded for his “cynic rhymes”. But there were no rhymes in Roman poetry . Shakespeare was not too concerned with historical authenticity. (Pughe, Thomas: Einleitung, in: Shakespeare, William: Julius Caesar. Tübingen: Francke, 1987: 18)

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Pomadenhengst

Mistigkeit, borschweise, Buschklepper. Deutsche Wörter? Ja und nein. Es sind drei Wörter, die früher im Duden standen, aber jetzt nicht mehr. Sie sind im normalen Sprachgebrauch einfach nicht mehr vertreten. In der Ausgabe von 2013 gab es eine dreistellige Zahl von Wörtern, die getilgt wurde. Darunter der wunderbare Pomadenhengst. Er würde heute nicht einmal mehr verstanden werden und ist durch Macho ersetzt worden. Können aussortierte Wörter es noch einmal zurück schaffen? Ausgeschlossen ist das nicht, sagt Kathrin Kunkel-Razum, die Leiterin der Duden-Redaktion. Wenn auch nicht sehr wahrscheinlich. Lügenpresse könnte ein Kandidat sein. Die ist jetzt neu aufgenommen worden und war vielleicht in den Dreißiger Jahren schon mal vertreten. (Schmidt, Marie: “Ist eine Welt ohne “Majonäse” sinnvoll?”, in: Die Zeit 33/2017: 35)

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Corrado

Corrado, ein italienischer Busfahrer, fährt eine deutsch-italienische Schülergruppe durch die Gegend, 16-17-jährige Jugendliche. Es steht eine Wanderung auf dem Programm. Man fährt in die Berge. Eher unwillig, vor allem auf italienischer Seite, bringt man die Wanderung hinter sich. Dann kommt man wieder zum Bus zurück und zu Corrado. Er macht ein entsetztes Gesicht: Er hat die Schlüssel für den Bus verloren. Die deutschen Mädchen: “Kommt, dann legen wir uns solange hier in die Sonne.” Die deutschen Jungen: “Kommt, wir gehen den Schlüssel suchen.” Die Italiener, Mädchen wie Jungen: “Wir rufen die Mama an.” Corrado hatte den Schlüssel gar nicht verloren. Er wollte nur die Reaktionen testen.

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Klein, aber oho!

Was haben Pinsel, Kapsel und Pegel miteinander gemeinsam? Die Endung gibt einen (verstecketen) Hinweis. Es sind lauter Diminutive. Das ist heute kaum noch erkennbar, weil es sich bei den Verkleinerungsformen um fremde Elemente handelt, die wir bereits als Diminutive übernommen haben. Man mag kaum glauben, in wie vielen Wörtern so eine verblasste Diminutivform steckt: Pupille, Mantel, Libelle, Bazillus (Grundform baculum, wegen ihres stabartigen Aussehens), Kapitell, Tabelle, Brezel, Kanzel, Schüssel,  aber auch Pistole, Kartoffel (Grundwort tartufo, ‘Trüffel’, selbst ein Diminutiv), Vanille (von vaina, verwandt mit Vagina), Toilette (Grundform toile) und viele andere. Dass bei den fremden Suffixen der Diminutiv nicht mehr erkennbar ist, mag ja noch angehen, aber bei den einheimischen Wörtern sieht es nicht anders aus: Angel, Schaukel, Knödel, Stummel, Trommel, Schenkel, Eichel, Enkel (Verkleinerungsform von ano, von dem auch Ahne als Bezeichnung des Großvaters abgeleitet ist – Großvater und Enkel sprachen sich gegenseiteig gleich an) sind genauso Verkleinerungsformen wie Ärmel (Grundform Arm, hier kann man es noch erahnen), Sperling, Forelle oder Eule (in der alten Form, uwila, ist der Diminutiv noch zu erkennen). Ein besonderes Schmankerl ist die Nelke, eine Verkleinerungsform von Nagel. Stift und Blume heißen also gleich. Wie kommt das? Der Nagel wurde zuerst auf die als Gewürz verwendeten Blüten eines Baumes aus den Molukken verwendet, und zwar wegen des Aussehens, und dann ging die Bezeichnung vom Gewürz auf die Gartenblume über, wegen des Duftes. Eine doppelte Übertragung. Auch der Klüngel hat es in sich. Es ist von klunga abgeleitet, ‘Knäuel’, ‘Garnknäuel’. Das wurde dann übertragen auf den lose vom Kleid herabhängenden Fetzen. Daraus resultierte dann die Bedeutung ‘nachlässige Behandlung’, ‘Missstand’. Und dann war es nicht mehr weit bis zu den durch Cliquenwirtschaft hervorgerufenen Missständen! (Storfer, Adolf Josef: Wörter und ihre Schicksale. Zürich: Atlantis Verlag, 1981: 528-543)

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Intelligence Agency?

Kriegsverbrechen, Schreckenstaten, Machtmissbrauch, Verstöße gegen das Genfer Abkommen, Eliminierung ungeliebter Politiker im Ausland, Bespitzelung der eigenen Bürger. Schwere Vorwürfe, die da gegen die CIA erhoben werden. Und wer erhebt diese Vorwürfe? Die CIA. Ihre ehemaligen, langjährigen Agenten. Und in dieser Bewertung sind sie sich fast ganz einig. Meinungsverschiedenheiten gibt es nur bei der Frage, ob all das mit Wissen oder sogar auf Geheiß des Präsidenten geschah. Dass es geschah, daran lässt keiner einen Zweifel. Mord, sagt ein CIA-Agent achselzuckend, das sei das Handwerkszeug von Regierungen. Dafür spricht, dass Gerald Ford während seiner Amtszeit ein Dekret erließ (Executive Order 11905), das es jedem, der für die amerikanische Regierung arbeitete, ausdrücklich untersagte, sich an Mordanschlägen zu beteiligen. Es kann also keinen Zweifel gegeben haben, dass man vor dem Mittel nicht zurückscheute, vermutlich danach genauso wenig wie davor. Und trotz allem sieht die Bilanz der CIA düster aus: die Fehleinschätzung der Stärke der “Turbanträger” im Iran (einem CIA-Agenten zufolge sprach keiner von ihnen persisch!) und dem daraus resultierenden Sturz des Schahs, die Invasion in der Schweinebucht, die Unterstützung der Mudschaheddin (unter ihnen Bin Laden) in Afghanistan (und damit letztlich die Schaffung der Grundlage für die Herrschaft der Taliban),  die Verkennung von Saddam Husseins Absichten mit Bezug auf Kuwait, die Ahnungslosigkeit vor dem ersten Attentat auf das World Trade Center, das nur durch einen technischen Defekt nicht so ausging wie geplant und viel mehr Opfer gefordert hätte als das zweite – eine einzige Kette von Misserfolgen und Fehleinschätzungen. (“CIA von Innen”, in: Phoenix: 29/07/2017)

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Gerechtigkeit

Was ist gerecht? Wenn man einer Software die Aufgabe überträgt, eine Vorauswahl unter den Bewerbern für eine Stelle zu treffen, nach welchem Prinzip soll sie verfahren? 1) Männer und Frauen sollen gleich stark vertreten sein. 2) Das Geschlechterverhältnis soll sich an den Bewerbungen orientieren. 3) Das Kriterium Geschlecht soll außen vor bleiben. (Wolfangel, Eva: “Google und die Frau am Herd”, in: Die Zeit 29/2017: 35)

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Ideologische Schlagseite

Auch Computer haben Vorurteile. Sie schnappen die Vorurteile der Menschen auf und machen sie sich zu eigen. Digitale Übersetzungsprogramme zum Beispiel beruhen auf großen Datensätzen, in denen sie nach Mustern suchen. Dabei kann es zu Fehlern und sogar zu Diskriminierungen kommen. Ein Fehler unterlief einem Übersetzungsprogramm, das Macron sich am Abend seines Wahlsiegs bei seinen “amerikanischen Mitbürgern” bedanken ließ. So wurde Macrons Tweet verbreitet. In der automatischen Übersetzung, die Twitter seinen deutschen Nutzern anbot, hatte sich “mes chers compratiotes” in “meine amerikanischen Mitbürger” verwandelt. Wie der Computer darauf kam? Er setzte compatriotes mit fellow Americans gleich, die als gängige Formel in den Reden amerikanischer Politiker auftauchen. Die Datensätze prägen auch das Weltbild der Maschinen. Man kann zeigen, dass sie mit Namen älterer Menschen eher negative, mit Namen jüngerer Menschen eher positive Eigenschaften assoziieren, Mathematik eher mit Männern, Kunst eher mit Frauen in Verbindung bringen. Eine Gerichtssoftware ermittelte aus dritten Daten die Hautfarbe eines Straffälligen. Die Verzerrungen sind Teil unserer Kultur, und auch dem Computer kaum abzugewöhnen. Man müsste erstens die Vorurteile erkennen und dem Computer in mathematischen Formeln vermitteln, und man müsste so viele Daten löschen, dass die Programme zu nichts mehr zunutze wären. (Wolfangel, Eva: “Google und die Frau am Herd”, in: Die Zeit 29/2017: 35)

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