Die Milch macht’s

Der höchste Energiebedarf beim Konsum von Tee ergibt sich ganz am Ende, beim Kochen des Wassers. Dieser Vorgang fällt mehr ins Gewicht als der Anbau und die Verarbeitung des Tees. Und der Transport spielt die geringste Rolle. Dessen Bedeutung wird häufig überschätzt. Der Transport erfolgt meistens per Schiff, in großen Containern, und auf die Menge Tee bezogen macht das wenig aus. Das gilt auch für konventionell hergestellten Tee. Loser Tee ist besser als Beuteltee, aber die Unterschiede sind nicht groß. Was aber richtig reinhaut, ist die Milch. Deren Herstellung verbraucht rund fünf mal so viele Ressourcen wie der Tee selbst. Selbst wenn es nur ein kleiner Schuss Milch ist. (“Tee oder Kaffee? Was ist besser für Umwelt und Klima?”, in: Umwelt und Verbraucher, Deutschlandfunk: 30/10/2019)

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Ein echter Liberaler?

Klar ist: Vargas Llosa liebt die Kontroverse, nichts läge ihm ferner als ein unreflektiertes Abnicken der Thesen anderer. Und das war wohl auch einer der Hauptgründe, warum er schließlich zum Liberalismus fand – denn für einen echten Liberalen, so Vargas Llosa, gebe es eben keine unumstößlichen Wahrheiten: „Ein Liberaler ist sich bewusst, dass wir nicht alle Lösungen kennen und dass nicht sicher ist, ob unsere Antworten immer die besten und richtigsten sind, nicht einmal, dass sich überhaupt Antworten finden lassen auf all die Fragen, die wir uns zu so vielen unterschiedlichen Dingen stellen. […] Ein Liberaler ist ‚in mancher Hinsicht im Grunde ein Skeptiker‘, einer, der selbst jene Wahrheiten, die ihm am teuersten sind, als vorläufig ansieht. Eben diese Skepsis in Bezug auf das Eigene erlaubt ihm, sich gegenüber anderen Überzeugungen und Anschauungen tolerant und versöhnlich zu zeigen, sosehr sie auch von den eigenen abweichen.“

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Die vier Ks

An die digitalen Medien knüpft sich die Hoffnung auf eine wahre Bildungsrevolution. Und so wird viel Geld in die Anschaffung von Technik gesteckt. Die digitalen Medien sollen Kreativität, kritisches Denken, Kollaboration und Kommunikation fördern, die 4 Ks. Aber ob sie das tun, dafür fehlt jede empirische Basis. Und auch das bildungstheoretische Fundament (sie gelten für den Papst ebenso wie für einen Mafiaboss). Entscheidend ist: Ein schlechter Unterricht wird durch die digitalen Mittel nicht besser. Worauf es letztlich ankommt, ist die Qualität des Unterrichts, das Verhältnis von Lehrer und Schüler, die Form der Präsentation der Inhalte, der Umgang mit Fehlern, der Platz für selbständiges Denken, das Schaffen von Neugier, ein Niveau, das Schüler nicht überfordert (oder unterfordert). Alles andere sind letztlich Nebensächlichkeiten: die Gestaltung der Klassenräume, der Zeitpunkt der Einschulung, der Zeitpunkt des Unterrichtsbeginns, die Sitzordnung im Klassenraum usw. In der Abschlussklasse jeder Schulform besteht, so hat die Forschung festgestellt, kein signifikanter Zusammenhang zwischen Einschulungsalter und Notendurchschnitt. Und doch beherrschen diese Fragen die öffentliche Diskussion. Entscheidend aber ist: Was Kinder und Jugendliche lernen, muss so vermittelt werden, dass es ihnen etwas bedeutet. Mit oder ohne digitale Medien. (Zierer, Klaus: “Nicht ablenken lassen!”, in: Die Zeit 30/2019: 58)

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Allzweckwaffe fürs Denken

Der Brite Tony Buzan suchte während seines Studiums nach einem Werkzeug, mit dem er die Inhalte des Studiums festhalten und ordnen konnte: Denken, Analysieren, Problemlösen und Kreativität sollte es miteinander verbinden. Das Denkmuster, das dahinter stand, nannte er radiant thinking, und das Werkzeug, das er entwickelte, trat als Mindmap seinen Siegeszug an, wurde gar zur vierten Kulturtechnik neben dem Lesen, Rechnen und Schreiben ernannt. Das Mindmap wurde zu einer Allzweckwaffe, schön bunt, letztlich aber stumpf als Denkwerkzeug, jedenfalls in der Form, in der es heute angewandt wird, in Seminarräumen wie in Büroetagen. Alle Elemente sind letztlich willkürlich um einen Kern angeordnet, und es wird eine Übersichtlichkeit vorgetäuscht, die es nicht gibt. Die Mindmap täuscht eine Ordnung vor, wo es um bloße Assoziationen geht, vereinfacht komplexe Onthologien zu Baumdiagrammen. Auf die Lust am unerschrockenen Denken kommt es bei der Mindmap nicht an. Für den Widerspruch, für den Konflikt des Denkenden mit sich selbst und der Welt lässt das Mindmap keinen Platz. (Neumann, Peter: “Mindmap”, in: Die Zeit 32/2019: 40.

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Pestmaske

Die Karnevalsmaske in Venedig ist ein Abkomme der Pestmaske. Die wurde von Ärzten und Helfern getragen und trug allen drei vermuteten Ursachen der Pest Rechnung: Die Maske selbst schützte vor den Partikeln, die die Pest verbreiteten, der Schnabel (der einen Schwamm enthielt) schützte vor dem Wind und das Augenpflaster vor dem Blick. In Venedig erfolgte zum ersten Mal die Absonderung der Pestkranken, sie wurden im Lazzaretto Vecchio auf der Pestinsel untergebracht. Auch die Festspiele von Oberammergau wurden 1634 eingeführt als rituelle Handlung zur Verhinderung weiterer Ausbrüche der Pest. Sie war bis dahin endemisch geworden, d.h. sie brach immer wieder aus. Die Überlebensrate hing von der Art der Pest ab: Die Lungenpest überlebenden 60% der Erkrankten, die Beulenpest 40% und die septische Pest so gut wie keiner. Überlebende waren immun gegen die Krankheit. Auch heute ist die Pest noch nicht völlig verschwunden. Jedes Jahr fordert die Pest ca. 180 Tote. In der Literatur fand die Pest auch ihren Niederschlag, ganz prominent bei Boccaccio, Poe und Camus.

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Gesunde Dicke

Nicht das Gewicht an sich sei wichtig für die Gesundheit, argumentieren drei Ernährungsmediziner in einer Radiosendung, sondern das Gewicht als Indiz von wenig Bewegung. Dicke, die sich bewegen, können kerngesund sein. Nur eins der vielen differenzierten Urteile der Sendung. Wohltuendes Antidot gegen volkstümliche Vereinfachungen. Gilt auch für die Nahrungsaufnahme. Nicht das, was ich auf den Teller packe, ist entscheidend, sondern das, was das in meinem Körper bewirkt. Ein Pfund Tomaten kann in einem Körper eine andere Wirkung haben als in einem anderen. Eigentlich einleuchtend. Aber oft übersehen. Bei Gicht soll man die Harnsäure reduzieren. Aber bei jemandem, der viel Kaffee oder Alkohol trinkt, kann eine geringe Menge Harnsäure mehr Unheil anrichten als bei jemandem, der weniger Kaffee oder Alkohol trinkt. Auf die Wechselwirkung kommt es an. Völliger Unsinn, hieß es, sei die von Journalisten gerne unters Volk gebrachte Vorstellung, man können Krebs aushungern. Überhaupt gibt es kaum eine haltbare These zur Verbindung von Krebs und Ernährung. Eher schon für die Verbindung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Ernährung. Aber selbst da ist höchste Vorsicht geboten vor schnellen Schlüssen. Ein Kausalzusammenhang wäre nur schwer nachzuweisen und würde langwierige, kostspielige Experimente erfordern. Und für die ist auf diesen Gebieten viel weniger Geld da als für Forschungen zu Pharmaka. Da hat die Pharmaindustrie ihre Finger drin. An Forschung zur Ernährung ist nicht viel zu verdienen.

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Ist mir auch passiert

Als Christian Ude seine spätere Ehefrau, Edith Welser (näher) kennenlernte, war er 25, Student und unverheiratet. Sie war acht Jahre älter, verheiratet und sechsfache Mutter. Es war eine Faschingsfeier. Er war als Robespierre verkleidet, mit einer langen schwarzen Perücke. Sie war als Opfer dieser Revolution verkleidet und trug ein Nachthemd. Sie verliebten sich. Irgendwann nahm Ude all seinen Mut zusammen und rief ihren Ehemann an. Der lud ihn sofort zum Spaghetti-Essen ein. Im Laufe des Gesprächs bekannte Ude, dass er sich in Edith verliebt habe. Der Ehemann sagte: “Kann ich verstehen, ist mir auch passiert.” Man arrangierte sich und zog die Kinder gemeinsam groß. Zehn Jahre später, 1983, heirateten Christian Ude und Edith Welser. Sie sind bis heute verheiratet. Wenn Ude gefragt wird, was er sich dabei gedacht habe, antwortet er: “Nichts. Hätte ich mir etwas dabei gedacht, hätte ich es nicht getan.”

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Be(ob)achtung

Auf Wattebäuschen, die er mit Tabaksaft und Parfüm getränkt hatte, reagierten sie nicht. Sie hatten offensichtlich kein Riechorgan. Auch auf die Trillerpfeife seines Enkels Bernard hatten sie nicht reagiert. Sie mussten taub sein. Aber als er sie in ihren Töpfen auf das Klavier setzte, zogen sie sich sofort in ihre Höhlen zurück, als seine Frau auf dem Klavier das hohe C spielte. Sie mussten die Schwingungen und Erschütterungen durch den Resonanzboden des Klaviers gespürt haben. Auch einen glutroten Schürhaken hatte er ihnen, zum Entsetzen von Frau und Enkel, vorgehalten, um sie auf Wärme zu testen. Für die Beobachtung ihres Liebesspiels musste er sich Zeit nehmen. Es dauerte eine Stunde und zwanzig Minuten. Dass sie sich überhaupt miteinander vergnügten, war keine Selbstverständlichkeit, denn er hatte unter dem Mikroskop gesehen, dass jedes Individuum sowohl mit Hoden als auch mit Eierstöcken versehen waren. Sie könnten also auch ihre Eizellen mit den eigenen Spermien befruchten. In der Regel zogen sie aber das aufwändige Liebesspiel vor. Auf Kohlblätter und Zwiebel standen sie, auch der Meerrettich gehörte zu ihren Lieblingsspeisen, nur noch übertroffen vom Grün der Karotte. Natürlich führte er auch Buch über ihre Exkremente, zählte die Exkrementkügelchen und rechnete hoch, wie viel Fläche sie im Laufe eines Jahres damit bedecken könnten. Bei all den Beobachtungen hatte er sie liebgewonnen und erkannt, dass es auch bei ihnen feine Unterschiede in Farbe, Beweglichkeit und Hübschheit gab. Seinen Intelligenztest hatten sie mit Bravour bestanden: Papierschnitzel, die er ihnen hinlegte, fassten sie mit ihren Lippen an den Spitzen Enden und zogen sie mit der schmalen Seite voran in ihre Höhlen. Erstaunlich, was man alles mit Regenwürmern anstellen kann. Vorausgesetzt, man heißt Darwin. (Jerger, Ilona: Und Marx stand still in Darwins Garten. Berlin: Ullstein, 2018: 16-36)

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Glasklare Ergebnisse?

Ein Versuch mit 30 Studenten liefert weniger belastbare Ergebnisse als einer mit 3000. Aber: Wo bekommt man die 3000 her? Und: Wo bekommt man Probanden her, die keine Studenten sind? Man will ja schließlich repräsentative Ergebnisse. Und: Wie kann feststellen, ob die Ergebnisse einer in den USA durchgeführten Studie auch in Japan gelten? Das sind Probleme in allen Geisteswissenschaften, und die führen oft zu unsauberen Ergebnissen. Die Psychologie hat sich jetzt entschlossen, sich den Problemen der eigenen Disziplin zu stellen. In einem Mega-Projekt, Many Labs 2, wurden Forschungsergebnisse überprüft, und es stellte sich heraus, dass mindestens die Hälfte aller Erkenntnisse keiner Überprüfung standhielt. Zu den überprüften Thesen gehörte diese: Wer einige Minuten lang in einer Power-Pose verharrt, fühlt sich anschließend tatsächlich selbstsicherer und agiert risikofreudiger. O sancta simplicitas! Im Nachhinein ist man überrascht, dass solch eine simple Botschaft überhaupt Eingang in die Fachliteratur fand. Einfache Botschaften sind meist mit einem Haken versehen: Sie stimmen nicht. Noch hanebüchener diese These: Wer in den Experimenten nach einem Test mehr büffelte, hatte vorher bessere Ergebnisse. So eine in dem renommierten Journal of Personality and Social Psychology veröffentlichte Studie eines gewissen Daryl Bem. Kein Wunder, dass diese beiden Studien keiner Überprüfung standhielten. Aber nicht nur solch bizarre Studien waren betroffen, sondern auch wesentliche Ideen des Fachs. Zum Beispiel ließen sich auch einige Priming-Effekte nicht wiederholen, also die Idee, das winzige, unterschwellige Reize das Verhalten beeinflussen, dass z.B. der Gedanke ans Altern einen langsamer gehen lässt. Wie kommt es dann, dass es dieser Mega-Studie bedurfte, um solche Ergebnisse zu falsifizieren oder überhaupt auf den Prüfstand zu stellen? Müsste das nicht ohnehin geschehen? Die Antwort liegt in der Logik des Wissenschaftsbetriebs: Neue, überraschende, antiintuitive Ergebnisse lassen sich leichter publizieren. Replikationen sind langweilig. So lehnte das Journal of Personality and Social Psychology mehrere Forscher ab, die die versucht hatten, Bems Ergebnisse zu replizieren und erwartungsgemäß scheiterten. Was folgt aus all dem? Bedeutet das eine Krise der Psychologie, eine Krise der Wissenschaften gar? Nicht unbedingt. Größere Transparenz bei der Vorbereitung und Durchführung der Studien ist gefragt. Sie soll verhindern, dass Hypothese und Auswertung im Laufe des Versuchs in die gewünschte Richtung angepasst werden. Internationale Zusammenarbeit ist gefragt, um mehr als lokale Ergebnisse zu liefern. Und die Bereitschaft der Fachjournale, “langweilige” Replikationsstudien zuzulassen. Scheitert die Replikation einer Studie, muss das nicht unbedingt heißen, dass die Originalstudie wertlos war. Auch die Replikationsstudie kann danebenliegen. Aber dennoch fruchtbar sein und zu weiteren Überprüfungen führen. Und zu einer grundlegenden Skepsis gegenüber glasklaren Ergebnissen führen. (Herrmann, Sebastian: “Steile Thesen, nichts gewesen”, in: Süddeutsche Zeitung 277/2018: 35)

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Balance-Akt

Während einer Zugfahrt in der Zeitung einen Artikel über die Geschlechterrollen in der Natur gelesen (Knauer, Roland: “Sie ist hier der Boss, in: Welt am Sonntag 49/2018: 20-21) Demzufolge gibt es in der Natur, was die Geschlecherrollen angeht, kein festes Schema. Es gibt alle möglichen Varianten, je nach Lebensraum gibt es Lösungen, maßgeschneidert, immer in Verfolgung des einen, übergeorndeten Ziels: dem größtmöglichen Fortpflanzungserfolg. Albatrosse sind sich ein Leben lang treu. Allerdings trifft man sich auch nur alle zwei Jahre am Nistplatz. Nur wenn der Partner dort nicht auftaucht, wird neu gebalzt. Bei den Gorillas wacht das Alpha-Männchen über einen weiblichen Harem. Er muss seine Vormachtstellung gegen jüngere Rivalen verteidigen. Auch der stärkste Gorilla hält das nur ein paar Jahre durch. Beim Grillkuckuck ist es anders. Da hält sich das Weibchen einen männlichen Harem. Die Männchen sind auch für das Brüten und die Aufzucht zuständig. Bei den Tüpfelhyänen herrscht das Matriarchat. Die Weibchen sichern sich ihre Macht durch Seilschaften. Die Männchen müssen mit Beginn der Geschlechtsreife auswandern. Bei den Seepferdchen sind die Rollen vertauscht: Die Männchen werden trächtig. Dazu spritzt das Weibchen nach der Balz die Eier in die Bauchtasche der Männchen. Bei den Schimpansen ist der Boss in der Regel ein Männchen, bei den Bonobos ein Weibchen. Sie scheinen friedlicher miteinander umzugehen als die Schimpansen und ihre Konflikte oft durch Sex zu entschärfen. Und das, obwohl Schimpansen und Bonobos genetisch sehr ähnlich und außerdem die nächsten Verwandten des Menschen sind. Man erklärt den Unterschied durch die Lebensbedingungen: Die Bonobos leben südlich des Kongo-Beckens, wo der Urwald viel reichhaltiger ist als im Norden. Unter solch üppigen Bedingungen konnten sich die weniger aggressiven Männchen durchsetzen, die eher den Kontakt zu den hochrangigen Weibchen pflegen. Was aus all dem für den Menschen folgt, sagt der Artikel nicht. Jedenfalls kann man froh sein, dass eine Variante sich bei uns nicht durchgesetzt hat: Bei den Hyänen hat das Weibchen eine stark vergrößerte Klitoris, was dem Männchen im entscheidenden Moment einen schwierigen Balanceakt auf dem Rücken des Weibchens abverlangt, in dessen Verlauf er leicht unverrichteter Dinge nach hinten in den Staub herunterpurzeln kann.

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Waldarbeiter

Die Eiche dominierte unsere Wälder jahrhundertelang, bis die Buche übernahm. Nachdem die Gletscher nach der letzten Eiszeit vor 12.000 Jahren geschmolzen waren, wuchsen zunächst Haselnuss und Erlen. Die wurden bald von der Eiche verdrängt. Und die wiederum von der Buche. Die hatte im Süden überlebt, da, wo das Eis nicht hinkam. Von da aus hatte sie sich bis in das Herz des Kontinents ausgebreitet. Vor tausend Jahren war Deutschland zu zwei Dritteln von Buchenwäldern bedeckt. Im Mittelalter wurden fast alle Bäume gefällt: Werften, Köhlereien, Glasfabriken – alle brauchten Holz. Dann propagierte der sächsische Förster Hans Carl von Carlowitz eine neue Strategie: Es sollte immer nur so viel Holz entnommen werden wie nachwächst. Er prägte das Wort Nachhaltigkeit. Das war kein ökologisches, sondern ein öknomisches Konzept. Dem ist es zu verdanken, dass Deutschland heute über eine große Waldfläche verfügt. (Habekuss, Fritz: “Eine Welt wie vor tausend Jahren”, in: Die Zeit 47/2018: 39-40)

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Mythos Marshall-Plan

In Großbritannien waren bis 1953 Lebensmittel rationiert. Man erhielt sie auf Lebensmittelmarken. In Deutschland war die Rationierung längst aufgehoben. Deutschland begann zu florieren. Dabei hatte Großbritannien den größten Anteil von dem Geld aus dem Marshall-Plan erhalten. Aber die britische Industrie war veraltet. Die deutsche war erstaunlich gut durch den Krieg gekommen. Entgegen dem eigentlichen Vorhaben, und entgegen der späteren Propaganda, war es den Alliierten nicht gelungen, die deutschen Industrieanlagen zu zerstören, und die waren bei Kriegsbeginn auf dem neuesten Stand. Die Alliierten hatten stattdessen Nazi-Deutschland durch Bombardierung der Innenstädte in die Knie gezwungen. Vom Marshall-Plan profitierte ganz Westeuropa, aber in keinem Land hatte er so viel Wirkung wie in Deutschland. Deutschland profitierte von seiner konkurrenzfähigen Industrie, aber auch davon, dass die Soldaten der Besatzungmächte hier waren und Geld ausgaben und deutsche Produkte kauften. Die Amerikaner setzten ihre ganze Propagandemaschine ein, um die Deutschen glauben zu machen, sie handelten aus Nächstenliebe. Das wirkt bis heute nach. Aber wahr ist das natürlich nicht. Ganz und gar nicht. Das meiste Geld aus dem Marshall-Plan für Deutschland floss gar nicht nach Deutschland, sondern ging an amerikanische Farmer, die damit die ihre Waren in Deutschland verkaufen konnten. Welche Waren? Zu 70% Tabak und Baumwolle. Bei der Baumwolle gab es sogar Probleme. Die deutsche Textilindustrie trat in den Streit, weil die Baumwolle aus den USA, die sie abnehmen sollte, teurer war als die ägyptische. Was die absurde Folge hatte, dass die amerikanische Baumwolle von der Bundesregierung subventioniert werden musste! Frankreich bekam tatsächlich Geld aus dem Marshall-Plan. Aber nur deshalb, damit Frankreich auf weitere Reparationszahlungen von Deutschland verzichtete. Die deutsche Industrie sollte blühen, damit amerikanische Waren abgenommen werden konnten!

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Plagegeister

Die zoologischen Namen von Tieren sind meist von einer nichtssagenden, langweiligen Neutralität. Eine Ausnahme bildet die Stechmücke: Culex molestus. Das ist mal eine Bezeichnung von erfrischender Parteilichkeit. Ganz aus der Sicht des Menschen gesehen. Vielleicht eignet sich der Name auch für gewisse Unterarten der Spezies Mensch: Socius molestus, Vicinus molestus, Auriga molestus, Argentarius molestus, Querulosus molestus, Babulus molestus … Dass hier keine spezifisch weiblichen Formen auftauchen, muss nichts zu sagen haben.

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Leben im Untergrund

Viele Arten sterben aus. Das hören wir oft genug. Aber nicht so oft hören wir, dass auch neue entstehen. Ein Beispiel dafür bietet die Stechmücke. Die hat sich in der Londoner U-Bahn ausgebreitet, seit deren Eröffnung 1863. Das Resultat: Sie unterscheidet sich genetisch inzwischen grundlegend von ihrem oberirdischen Pendant. So sehr, dass sie  sich nicht mehr miteinander fortpflanzen können. Der klassische Beweis, dafür dass eine neue Art entstanden ist. Verständlicherweise unterscheiden sie sich auch in ihrem Verhalten: Die oberirdischen leben von Vogelblut und halten Winterschlaf, die unterirdischen halten keinen Winterschlaf und ernähren sich nicht von Vogelblut. Vögel kommen unten in der U-Bahn nicht so häufig vor. Ist auch nicht nötig. Die Mücken haben Tausende von Passagieren, an deren Blut sie sich laben können. Auch die Mücken der unterschiedlichen U-Bahn-Linien entwickeln sich unterschiedlich. Die Mücken der Bakerloo-Line haben ein anderes Erbgut als die der Victoria-Line. Kein Wunder: Sie kommen kaum in Kontakt miteinander. Dafür müssten sie am Oxford Circus umsteigen. (Blage, Judith: “Die Mücken der Bakerloo-Linie”, in: Süddeutsche Zeitung 259/2018: 39)

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Romantische Pragmatiker

Leoparden sind anpassungsfähige Tiere, anpassungsfähiger als andere Raubtiere. In Mumbai pendeln sie mittlerweile zwischen Wald und Stadt. Ihr angestammtes Habitat ist der Wald, ein großer Nationalpark, auf drei Seiten von der Stadt (und auf einer von einem Fluss) begrenzt. In die Stadt kommen sie meist nachts. Still und heimlich. Menschen greifen sie so gut wie nie an, nur, wenn sie sich in die Enge getrieben fühlen. Sie haben es auf andere Opfer angesehen: die Hunde. Davon gibt es im Mumbai ca. 68,000. Die meisten herrenlos, herumstreunend. Die gibt es in so großer Zahl, weil die Müllberge von Mumbai sie mit reichlich Nahrung versorgen. Für die Leoparden eine willkommene Beute. Warum Hunde? Im Wald gibt es reichlich Beute: Hirsche, Hasen, Schweine, Affen. Aber: Die sind schwer zu jagen. Die Hunde nicht. Es gibt reichlich davon, oft auf einen Haufen, und sie sind es nicht gewohnt, gejagt zu werden. Da sind die Leoparden ganz Pragmatiker und entscheiden sich für die leichte Beute. Und sie tun den Menschen nebenbei einen Gefallen: Die Hunde sind Träger von Tollwut. Mehrere Hundert Menschen sind in den letzten Jahren an Tollwut gestorben. Die Zahl der Hunde zu reduzieren, liegt also im Interesse des Menschen. Aber Vorsicht: Die Leoparden könnten sich anstecken, und selbst Träger der Tollwut werden. Es gibt aber noch einen zweiten Grund, warum die Leoparden in die Stadt kommen, und das gibt der ansonsten eher rational zu erklärenden Geschichte eine schöne, geheimnisvolle Note: Die Leoparden kommen nachts in die Stadt, zu zweit. Suchen sich ein lauschiges Plätzchen im Garten, machen es sich gemütlich und tun dann das, was auch ein menschliches Paar abends an einem lauschigen Plätzchen im Garten tun könnte. (Vgl. Perras, Arne: “Besucher in der Nacht”, in: Süddeutsche Zeitung 259/2018: 38)

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