Auf den Kopf oder auf die Füße gestellt?

Adam Smith benutzt das Wort von der “unsichtbaren Hand” nur ein einziges Mal in The Wealth of Nations, auf mehr als 1000 Seiten. Immer wieder wird dieselbe Passage zitiert, und so wirkt es irgendwann, als sei das Konzept der Dreh- und Angelpunkt in Smiths Denken. Er hat das Wort auch nicht erfunden. Es war ganz gängig zu seiner Zeit und wurde meist von Predigern benutzt, die damit Gottes Wirken in der Welt beschrieben. Smith war bekannterweise ausgesprochen religionskritisch. Smith predigte auch keineswegs den Egoismus als Schlüssel zum Wohlstand. Eigeninteresse müsse langfristig ausgerichtet und von anderen “Tugenden” begleitet sein, um Wohlstand zu fördern. Die Bienenfabel kritisierte Smith jedenfalls und attackierte de Mandeville sogar, entgegen den wissenschaftlichen Gepflogenheiten der Zeit, unter Nennung seines Namens. Daraus kann man ganz andere Schlüsse ziehen, als es die Orthodoxie tut, wenn sie Smith für sich vereinnahmt. Das haben schon andere vor ihr getan: Kurz nach Smiths Tod wurde im Londoner Unterhaus der Mindestlohn diskutiert, und sowohl die Befürworter als auch dei Gegner beriefen sich auf Smith! (Fink, Pierre-Christian: “Auf der Suche nach Adam Smith”, in: Die Zeit 34/2013: 24-5)

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Zu viele Gläser Wasser

In einem Roman, den ich gerade lese, geht der Erzähler ins Bad und trinkt “zwei Gläser Wasser” (S. 78). Das, finde ich, ist unglaublich pedantisch und regelrecht falsch. Man trinkt “zwei Glas Wasser”. Der Plural ist hier völlig unsinnig. (Der Duden bestätigt mich, indem er “zwei Glas Bier” aufführt). Später im Roman gibt es “dann noch zwei Gläser Bier” (S. 295). Und um die Sache noch schlimmer zu machen, trinkt der Erzähler nach dem Essen “höchstens noch ein Glas oder zwei Gläser Wein” (S. 64). Hier will  jemand zeigen, wie wahnsinnig klug er ist und tut dabei genau das Falsche. Und um sich selbst ad absurdum zu führen, bestellt er an einer anderen Stelle dann zwei “Glas Bier” (S. 293). Da hat der Pedant nicht aufgepasst. Aus dem Klappentext erfährt man, dass der Autor Professor für Kreatives Schreiben ist. Die armen Schüler! Der gesamte Roman ist eine sprachliche Kapitulationserklärung. Alle sprechen gleich, Erzähler und Figuren, alle sprechen im Imperfekt (wo man das Perfekt benutzen würde) und im Futur (wo man das Präsens benutzen würde). Das hört sich dann so an: “… du erklärtest mir alles … deshalb bestelltest du … du erzähltest plötzlich davon … du entdecktest neben der Tür” usw (S. 232-4). Wenn wirklich jemand so spricht, möchte man dem keinesfalls zuhören. Das Liebespaar erzählt einander von “Erzählungen oder Biographien, in denen anschaulich und ruhig, prägnant und in beinahe rührender Kleinlichkeit erzählt wurde” (S. 230). Zum Weglaufen. Und fühlen sich, in wörtlicher Rede, “dem irritierenden und vielbödigen Wesen der Zeit ganz nahe” (S. 231). Da weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll. (Ortheil, Hanns-Josef: Das Verlangen nach Liebe. München: BTB, 6/2009)

 

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Elbe – Nebenfluss der Moldau?

Die Mosel fließt in den Rhein. Man könnte auch sagen, dass der Rhein in die Mosel fließt, aber das hört sich irgendwie “falsch” an.  Der Rhein ist der größere Fluss und fließt eher geradeaus, die Mosel macht einen Knick. Also: Die Mosel mündet in den Rhein. Und die Moldau mündet in die Elbe. Da wird es schon etwas schwieriger. Die Elbe hat eine breitere Flussaue und scheint ihren Weg eher gerade fortzusetzen, aber die Moldau ist größer. Es könnte also auch heißen: Die Elbe mündet in die Moldau. Dann wäre die Elbe kürzer und die Moldau länger als sie ist. Sprache bestimmt.

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Tote sterben

In einer Radiosendung über die gewalttätigen Unruhen in Ägypten ist die Rede von “den Toten, die entsprechend ihr Leben verloren haben”. Entsprechend? Tote, die sterben? Ihr Leben? Warum nicht das Leben? Und warum nicht einfach: ” … die Menschen, die dabei gestorben sind”? (DLF: “Informationen am Morgen:  14/08/2013)

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Was ist ein Söller?

Im Bekanntenkreis wurde gefragt, was ein Söller ist. Ein (Landschafts-)Architekt und eine Immobilien-Expertin wussten die Antwort nicht. Meine Vermutung, dass es sich um ein Synonym von Dachboden handelt, war nur halb richtig. So wird das Wort nur regional, am Niederrhein gebraucht. In der Architektur wird es synonym zu Altan gebraucht, und das ist eine Plattform, die aus den Obergeschossen von Häusern ins Freie führt, also wie ein Balkon, im Gegensatz zu diesem aber nicht frei auskragt, sondern auf Mauern oder Pfeilern ruht. Meine Vermutung, dass das Wort etwas mit franz. sol, ‘Boden’, zu tun haben könnte, war ganz falsch; es kommt von lat. solarium, bezeichnet also einen Ort, in dem die Sonne einfällt.

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Hitler wird Deutscher

Hitler hatte bis 1932 nicht die deutsche Staatsbürgerschaft. Er war Staatenloser. 1925 hatte er die Entlassung aus der österreichischen Staatsbürgerschaft beantragt. Dem Antrag war stattgegeben worden. Er wurde schließlich Deutscher, indem ihn der Innenminister des Freistaats Braunschweig zum Regierungsrat ernannte und damit einbürgerte. (Weinert, Christoph, “Hindenburg”, in: Arte: 06/08/2013)

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Bye, Margaret – Hi, Meg

In the course of a day, a woman may be addressed as Margaret or Mrs Walker or Mum or Meg or dear or in other ways. Her business partner may say Good-bye, Margaret, her secretary See you tomorrow, the caretaker Bye Mrs Walker, her daughter Hi Mum, her mother Hello, dear and a friend Hi, Meg. She may respond in many different forms as well and might have addressed her daughter as Jenny or, to show that she is annoyed with her, with her full name, Jennifer. The choice of one linguistic form rather than another is a useful clue to non-linguistic information. (Holmes, Janet: An Introduction to Sociolinguistics. Harlow, England: Pearson Longman, 32008: 3)

 

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Tell Grandma what you did

Middle-class parents are much more likely to ask their children to display their knowledge (“Tell Grandma what you did on Sunday”) than working-class children. The child is used to being asked questions to which the questioner obviously knows the answer. This kind of question is used in language tests as well. As a consequence, middle-class children can manage them much better. In addition, an interviewer speaking with a middle-class accent is more likely to remind the middle-class child of a relative or acquaintance, whereas working-class children associate this accent with welfare workers and government officials – and keep a low profile, responding largely with monosyllabic words. The testing conditions are not the same for all children. (Holmes, Janet: An Introduction to Sociolinguistics. Harlow, England: Pearson Longman, 32008: 423)

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Quotengeist

In Stanford gibt es 2.210 Studienplätze für 38.000 Bewerber! Da sind die Chancen, einen Platz zu bekommen, nicht gerade gut. Und nur die Besten schaffen es. Aber, so argumentiert Josef Joffe in seiner Kolumne Zeitgeist (“Qual der Quoten”, in: Die Zeit 16/2013: 9): Es sind nicht unbedingt die Besten. Es gibt Bonuspunkte für Sportler, Musiker, Minderheiten, Kindern von Absolventen. Schwarze bekommen 230, Athleten 200 Bonuspunkte (von 1600). Die vielen Privilegien für die einen werden zu Benachteiligungen für die anderen, in diesem Falle für die Asiaten, die, wenn es nach Leistung ginge, eine viel höhere Zahl von Studienplätzen bekommen würden. Altes Unrecht wird abgeschafft und durch neues ersetzt.

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Wahrheitssuche

“Alle Theorien sind Hypothesen, alle können umgestoßen werden. Das Spiel der Wissenschaft hat grundsätzlich kein Ende. Wer beschließt, die wissenschaftlichen Sätze nicht weiter zu überprüfen, tritt aus dem Spiel aus.” So zitiert Josef Joffe in seiner Kolumne Zeitgeist (“Die Wahrheitsbehörde”, in: Die Zeit 23/2013: 9) Karl Popper im Zusammenhang mit Klimastudien, die keinen Zweifel an der Erderwärmung zulassen. Mit der Zukunft tut sich die Wissenschaft ohnehin schwer, und alle Modelle beruhen auf Annahmen und auf Daten, die falsch sein können. Der Zweifel gehört zum Geschäft. Und das gilt natürlich nicht nur für die Erderwärmung. In Seminaren sehe ich manchmal mit Verwunderung, wie Studenten eine Diskussion beenden wollen, weil man ohnehin zu keinem “Ergebnis” kommen könne. Man will etwas Greifbares, Verlässliches, Unumstößliches. Das gibt es nicht, und es wäre doch auch viel langweiliger als das immerwährende Umwenden, Überprüfen, Nachfragen.

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Wagner, Heavy Metal und Hollywood

Wagner hat uns Heavy Metal gegeben, sagt Joey Demaio von der Metal-Band Manowar. Wagner habe lauter, schwergewichtiger und dramatischer gespielt, als man sich das überhaupt bis dahin hätte vorstellen können. Demaio liegt richtig, sagt die Musikwissenschaftlerin Sabine Sonntag. Im Rheingold lässt Wagner die Musik schweigen, und nur acht Ambosse sind zu hören. Das sei Heavy Metall pur. Auch Hollywood hat bei Wagner Anleihen gemacht. Bei Harry Potters Geburt erklingt eine von der Celesta gespielte Melodie, die später immer wieder auftaucht und auf diese Szene zurückführt. Dieser Art von Signature Tune ist die moderne Adaptation von Wagners Leitmotiv. Die wichtigsten Erben Wagners in der Filmbranche sind Coppola (Apocalypse Now), Chaplin (Der Große Diktator) und Lars von Trier (Melancholia). Bei Coppola gibt es eine Szene, in der 8 Helikopter vom Himmel stürzen und den Tod bringen, in Wagners Walkürenritt stürzen 8 bewaffnete Frauen auf die Erde und sammeln tote Helden ein. (Deutschlandfunk „Wagner ist der Urvater der Filmmusik“, in: Corso. Gespräch von Marietta Schwarz mit der Musikwissenschaftlerin Sabine Sonntag: 22/05/2013)

 

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And the twain will never meet?

Im Rahmen einer wunderbaren Führung durch die Marx-Ausstellung im Stadtmuseum erfahren: Das Stadtmuseum fragte bei einem chinesischen Museum wegen einer Leihgabe für die Ausstellung an, einem großformatigen Bild. Das chinesische Museum gab seine Einwilligung. Dann aber stellte es sich heraus, dass die Transport- und Versicherungskosten zu hoch waren. Das konnte sich das Stadtmuseum nicht leisten. Darauf schrieb das chinesische Museum zurück, man werde eine kleinformatige Kopie des Originals anfertigen lassen und dem Stadtmuseum zur Verfügung stellen. Die Direktorin des Stadtmuseums schrieb zurück, herzlich dankend für das freundliche Entgegenkommen und mit der Bitte, ihr die Adresse des jetzt in den USA lebenden Künstlers zu übermitteln, damit der um seine Erlaubnis gefragt werden könne. Daraufhin eine Antwort des chinesischen Museums folgenden Inhalts: Wenn es der Wille des Volkes sei, dass das Bild in die Ausstellung komme, dann solle der Wille des Volkes geschehen. Die Erlaubnis des Künstlers brauche man dann nicht. Der solle froh sein, dass sein Bild ausgestellt werde. Und damit basta! Tatsächlich hängt das Bild jetzt in der Ausstellung.

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Marx kreditwürdig

Im Rahmen einer wunderbaren Führung durch die Marx-Ausstellung im Stadtmuseum erfahren: Nach 1989 wollte sich Chemnitz seines prächtigen Marx-Kopfes entledigen. Man wollte die Vergangenheit hinter sich lassen und bot die Büste mehreren deutschen Städten, auch Trier, zum Kauf an. Daraus wurde aber nichts. Die Büste blieb. Im Laufe der Jahre nahm dann die Wertschätzung des Kopfes wieder zu, und irgendwann wurde er unter Denkmalschutz gestellt. Als dann, nochmals Jahre später, die Sparkasse Chemnitz, wegen der Gestaltung ihrer Kreditkarten, eine Umfrage unter den Bürgern durchführte, welche historische Persönlichkeit sie am meisten schätzten, fiel die Wahl auf Marx. Seitdem ist auf den Kreditkarten der Sparkasse das Portrait von Marx zu sehen. Was der wohl dazu sagen würde?

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Complicated process

Read this text: “The process may seem complicated but actually it is not really, so long as you prepare things in advance and know what has to be done in what order. Some of the things you need you may already have, but others, of course, you may need to get. They are not always readily available and when they are they can be quite expensive. But the final result will make all the effort and cost worthwhile.” Did you have difficulty understanding it? Then add this headline: Cooking Chicken Biryani. Now read it again. (Widdowson, H.G.: Discourse Analysis. Oxford: Oxford University Press, 2007: 49-50)

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Mist Käfer?

Der Skarabäus, ein kleiner, schwarzer Käfer, der zu der Familie der Mistkäfer gehört, war den alten Ägyptern heilig. Wie wird aus einem Mistkäfer ein heiliges Tier? Bisher dachte ich immer, dafür gebe es praktische Gründe: Der Käfer räumt den Mist weg und wühlt den Boden auf. In einer Radiosendung (SWR 2: “Gepanzert und geflügelt: Käfer”, in Matinée, 09/06/2013) wurden jetzt aber ganz andere Gründe angeführt: Die Kugel, zu der der Käfer den Mist zusammenrollte, erinnerte die Ägypter an die Sonne. Noch wichtiger: Die Ägypter konnten sich nicht erklären, wie der Käfer sich vermehrte. Aus dem Nichts, aus der Kugel entsteigt plötzlich ein fertiges Lebewesen. Dafür gab es nur eine Erklärung: Auferstehung. Die neuen Käfer sind alte, wieder zum Leben erweckte Käfer. Ein kleiner, schwarzer Käfer wird zu einer mystischen Figur, zum Symbol des Sonnenlaufs und der Auferstehung. Den heutigen Ägyptern, Muslimen wie Kopten, ist der Käfer egal. Auch als Glücksbringer ist er nicht im Gebrauch. Als solcher wird er nur für die Touristen gefertigt.

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